
Typografie ist niemals neutral
Typografie ist niemals neutral. Die Designgeschichte rückt häufig die lateinische Schrift in den Mittelpunkt und übersieht dabei die reiche Vielfalt globaler Schriftsysteme, „volkstümlicher“ Typografie und alternativer Schriftzeichen.
Stand Juni 2025 bietet Google Fonts 1.633 Schriftfamilien für die lateinische Schrift an – im Gegensatz zu lediglich 261 für Kyrillisch, 60 für Devanagari, 52 für Arabisch und 39 für Koreanisch. Schweizerische Grotesk-Schriften dominieren weiterhin das zeitgenössische Grafik- und UI-Design, vor allem aufgrund ihres Rufs, universell, neutral und besonders gut lesbar zu sein. Dies verstärkt den westlich geprägten Design-Status quo. Doch was geschieht, wenn bestimmte Schriften marginalisiert oder unter kolonialem Einfluss angepasst werden? Können Schriftsysteme, Alphabete und Buchstabenformen bestehende Design- und Gesellschaftsnormen herausfordern? Und wie lassen sich Machtverhältnisse neu verhandeln, wenn mit zwei oder mehr Schriftsystemen gestaltet wird?
Writing in the Margins ist eine unabhängige Zeitung von Studierenden im 4. Semester des Studiengangs Graphic Design and Visual Communication an der Berlin International University of Applied Sciences. Entstanden unter der akademischen Begleitung von Barbora Demovič, Mio Kojima und Muj Abdulzade, schafft das Projekt Raum für vielfältige Schrifttraditionen, Alphabete, nonkonforme Buchstabenformen, „volkstümliche“ Typografie, vergessene Glyphen und deren unterrepräsentierte Geschichten. Über zehn Wochen hinweg, im Rahmen des Kurses Intercultural Design, untersuchten die Studierenden, wie Typografie historische, politische und emotionale Bedeutung trägt.
Verankert in persönlichen Interessen, Lebenserfahrungen und kulturellen Kontexten, enthält die Zeitung Beiträge von Elmira Bilokon, Klea Çelmanaj, Ferzan Dokumacı, Sarah Elgayed, Laman Gasimova, Inci Isik Goktas, Zeynep Gölbey, Anna Lena Halldórsdóttir, Thelma Rut Haraldsdóttir, Thianon Klausmann, Natalia Kvavilashvili, Azra Nasirlioglu, Sara Sóley, Jakub Pawlowski, Elif Sarihan, Diana Saidova, Hikaru Shiozawa, Laura Smektalska, Mariia Vlasina, Alexander Wagner, Oriana Winiarski und Hanul Yim.
Die Arbeiten umfassen diasporische Schreibpraktiken, koreanische schamanische Traditionen, Tätowierungs- und Graffitikulturen, kyrillische Handschrift, die Polnische Plakatkunstschule, arabeske Kassetten-Designs sowie Schnittstellen zwischen Schreiben und Kochen. Weitere Beiträge beleuchten kulturelle Veränderungen in Usbekistan, der Türkei, Island, Thailand, Russland, Albanien, Georgien, Griechenland und den arabischsprachigen Ländern sowie Experimente mit Typografie in Gaming, Hacker- und Chatroom-Kulturen.
Die Zeitung erschien in einer Auflage von 45 Exemplaren und wurde am 3. Juni in Berlin veröffentlicht.
Image credits:
Barbora Demovič
Layouts by Sara Sóley, Hanul Yim, Thelma Rut Haraldsdóttir, Ferzan Dokumacı
Photography by Thelma Haraldsdóttir
Elmira Bilokon
Ferzan Dokumacı
Jakub Pawlowski
Workshop Images: Barbora Demovič